Muss Liebe perfekt sein?

Muss Liebe perfekt sein?

Muss Liebe immer perfekt sein? Die Antwort liegt auf der Hand, denn wenn man die Frage so direkt stellt, wird wohl so ziemlich jeder direkt mit dem Kopf schütteln und verneinen. Warum haben dann trotzdem so viele Menschen eben diesen Anspruch an die Liebe und an Beziehungen?

„Es war alles perfekt.“ Zumindest für einen Moment. Und das ist es, was zählt. Kleine, individuell perfekte Momente. Denn diese zeigen uns, dass der Partner sich bemüht, dass wir ihm wichtig sind und er uns glücklich machen möchte. Denn dann ist er auch glücklich. So funktioniert Liebe. Zu ihr gehört aber auch Reibung. Streit, Tränen, Eifersucht. Denn auch das sind Anzeichen tiefer Gefühle, ohne die eine Beziehung nicht funktioniert. Wenn alles immer nur so vor sich hin schippert und es keine Auf’s und Ab’s gibt, dann kommt die Gewohnheit ins Spiel. Der Alltag ist es nicht, der die Liebe tötet, es ist auch nicht die Gewohnheit. Es sind Gleichgültigkeit und Respektlosigkeit. Dem Partner gegenüber unaufmerksam zu werden und ihm dauerhaft nicht mehr die Zeit und die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm eigentlich zusteht. Ausgerechnet dem einen Menschen, den wir auserkoren haben, ihm unsere Liebe zu schenken, in den wir unsere Zukunftshoffnungen und unser Glück setzen. Denn weniger als das sollte eine Beziehung doch nicht erwarten. Oder ist das zu optimistisch gedacht, zu hochgegriffen, zu viel erwartet?

Wie viel Optimismus braucht die Liebe eigentlich? Und wann wird Liebe blind? Wenn wir auf das, was wir über die Liebe gelernt haben und lernen können, zugreifen, dann gibt es einerseits die Mediendarstellung. Seifenopern, die uns im Vorabendprogramm die schöne Seite des Verliebtseins und ebenso die lachende Fratze verletzter und enttäuschter Gefühle zeigen. Alle großen Hollywoodfilme hingegen zeigen uns die „wahre Liebe“. Denn die findet immer ihren Weg. Und darauf kann man sich absolut verlassen, denn es führt ohnehin kein Weg daran vorbei, dass die richtigen Menschen zueinander finden. Schön wär’s! Denn – herzlich willkommen in der Realität – jedes Jahr geben zig Millionen Menschen klein bei, sind dankbar, wenn sie überhaupt jemanden finden, der mit ihnen die Einsamkeit bekämpft, leben Menschen in Partnerschaften, obwohl sie längst nicht mehr glücklich sind und nur aus Angst vor dem Alleinsein bleiben, entscheiden Eltern, dass es besser für die Kinder sei, wenn man zusammenbliebe. Und wo ist da die Perfektion? Gibt es die große Liebe etwa doch nicht?

„Das ist der Punkt, an dem die Beziehung wirklich beginnt.“

Jedes Paar erzählt doch meist die in etwa ähnlich strukturierte Geschichte eines Kennenlernens: man fand sich von Anfang an sehr sympathisch, man begann ab einem gewissen Zeitpunkt mehr über den anderen nachzudenken. Am Ende datete man sich nervös und wechselt dann zu tiefgründigen Gesprächen, die dazu führten, dass man jemanden an sich heranließ und dann irgendwann den Schritt in eine Beziehung wagte. Und dann geht es los. In den allermeisten Fällen wollen wir dem Partner dann zeigen, wie perfekt wir sind. Es wird sich ins Zeug gelegt, gekocht, spaziert, gelacht, Zeit freigeschaufelt und vor allem um die Wette gestrahlt. Mit der Zeit zeigen sich dann die ersten Macken. Es gibt Ärger im Paradies, denn so perfekt ist alles doch eigentlich gar nicht. Der eine meldet sich zu wenig, der andere ist enttäuscht. Die Neue hat ein „kleines“ Alkoholproblemchen, das sich jedes Wochenende derart äußert, dass der Partner den Sonntag mit ihr im Katermodus verbringen muss oder eben allein. Die Realität hält Einzug und das perfekte Mauerwerk bröckelt. Hinter der Fassade kommt ganz langsam der Mensch zum Vorschein, der wir eigentlich sind und den wir versucht haben zu verstecken bzw. so zu optimieren, dass eine liebenswürdigere Version unseres Selbst dabei herauskommt. Und erst jetzt entscheidet sich, wer wirklich zusammenbleibt. Denn erst jetzt weiß man, wen man da vor sich hat. Da sitzen ganze Kerle plötzlich mit großen Problemen vor ihren Freundinnen, bemüht den letzten Rest des glänzenden Sunnyboys aufrecht zu erhalten, der sie gerne sein wollen. Da sitzen gestandene Frauen schluchzend vor ihren Partnern, weil sie sich und dem anderen eingestehen müssen, dass sie doch nicht so tough und selbstsicher sind, wie sie immer getan haben. Das ist der Punkt, an dem die eigentliche Beziehung beginnt. Denn ab jetzt geht es wirklich um die zwei Individuen, wie sie sind.

Dennoch gibt es extrem viele Menschen, die denken sie müssten es ihrem Partner immer rechtmachen und der perfekte Partner sein, der immer supportet, strahlend nach außen tritt und dem anderen immer den Rücken freihält. Und dann gibt es auch noch diese, die meinen den schönen Schein zumindest nach außen wahren zu müssen. Solange dies das Innenleben der Beziehung nicht stört, ist es möglich, wenn auch ziemlich sinnbefreit. Was passiert denn, wenn ihr euch einfach auch mal fetzt und zugebt, dass nicht immer alles perfekt und nach Plan läuft? Wenn ihr den Partner auch mal kritisiert, ihn in Frage stellt und damit seine (und auch eure) persönliche Entwicklung vorantreibt? Bricht euch dann ein Zacken aus der Krone? Nein. Und im besten Fall werdet ihr sogar mit einer stärkeren Partnerschaft, einer besseren Bindung und einem ehrlicheren Selbstbild belohnt. Denn warum wollen wir immer möglichst perfekt erscheinen? Perfekt ist langweilig und unauthentisch. Und genau das ist Liebe nicht. Liebe ist nie langweilig, aber immer authentisch.

Wie hat dir der Artikel gefallen?
(*) (*) (*) (*) (*) /5 ( 1 Bewertungen